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Aus bikekitchen.net

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ARBEITSUTOPIEN

Immer nie fertig

Lohnarbeiten, unbezahlt arbeiten, entfremdet arbeiten – ein System ohne Alternativen? Keineswegs! Sabine Gruber begab sich auf die Suche nach feministischen Arbeitsutopien – und wurde nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis fündig.


Wo liegt Utopia? In der Zukunft? An einem fremden Ort? Wenn es um die Frage geht, wie wir arbeiten wollen, verorte ich Utopia außerhalb des kapitalistischen Systems im gelebten Experiment. Dort bleibt Raum, sich von gängigen Arbeitsvorstellungen zu lösen.

Die Bikekitchen, eine Fahrrad-Selbsthilfe-Werkstatt in Wien, ist so ein Zwischenraum. Selbstermächtigung und die Förderung der Fahrradkultur sind ihr oberstes Ziel. In der Bikekitchen (bestehend aus Werkstatt, Küche und Wohnzimmer) kann ich mich beraten lassen oder einfach nur mein eigenes Fahrrad reparieren. Ich kann aber auch selbst zur Radexpertin werden und mich mehr involvieren, etwa beim Kochen für die Werkstatt, auf Fahrraddemos, in der Organisation etc. (LiebeR LeserIn, wenn Sie Fahrräder nicht ansprechen, dann ersetzen Sie das Beispiel bitte z.B. durch Lebensmittelkooperativen, Gemeinschaftsgärten, Hofkollektive, Baugruppenwohnen, Offene Software, Internetplattformen … Je nach Art des Projekts müssen Sie sich den Rahmen passend vorstellen.)

Arbeiten in der Bikekitchen ist weder Lohnarbeit noch Hausarbeit. Ich bekomme keinen Lohn, sondern schaffe selbst die Voraussetzungen für meine Mobilität (weitgehend unabhängig von Geld und Erdöl), esse in der Gemeinschaft oder setze mich für politische Ziele ein. Essen, Reparieren, Demonstrieren findet quasi unter einem Dach statt, wodurch die Mauern zwischen öffentlicher und privater Sphäre eingerissen werden – und die Geschlechtergrenzen gleich mit. Kochen ist nicht mehr Frauensache, Reparieren nicht Männersache, das eine wird nicht im Haushalt getan und das andere nicht in der Werkstatt. Politik wird nicht von Menschen mit Absicherung und Freizeit betrieben, sondern von allen. Bikekitchen ist Lernen und Selbsthilfe, also Emanzipation für alle.

Entfremdete Arbeit. Die Verbindungen mit dem herrschenden System liegen dort, wo die Einzelnen ihren Lebensunterhalt für weitere Bedürfnisse (z.B. Wohnen) verdienen müssen. Dort wird Lohnarbeit1 geleistet und mehr oder weniger Entfremdung erfahren, weil wir Lohnarbeit nicht für unser unmittelbares Bedürfnis tun. Je mehr Geld und Konsum unmittelbare Erfolgserlebnisse ersetzen, je mehr wir den Einfluss darüber verlieren, was und wie produziert und wofür der Gewinn eingesetzt wird, desto sinnentleerter wird Arbeit. Im Gegensatz dazu findet in der Bikekitchen Arbeit in einem ursprünglicheren Sinn zur unmittelbaren Erhaltung unserer Lebensnotwendigkeiten statt.

Zwischen Systemzwängen und autonomem Raum agierend strebt die Bikekitchen laut ihrem Manifest die größtmögliche Übereinstimmung von Denken und Handeln an. Im Tun leitet die Bikekitchen „ihre Handlungsoptionen aus den Umständen ab, stellt dabei aber radikale Ansprüche und Forderungen“ (s. Manifest auf www.bikekitchen.net). Die Lösungsmöglichkeiten sind immer im Fluss. Oder anders gesagt: „Die Bikekitchen ist immer nie fertig.“

Diesem Anspruch nach folgt die Bikekitchen dem idealtypischen Verständnis von Arbeit als Handlungsfähigkeit. Die Soziologin Frigga Haug begründet dieses Arbeitsverständnis so: „(N)icht die ‚Arbeit‘ als solche ist erstes Lebensbedürfnis, sondern ‚Arbeit‘ nur so weit, wie sie dem Einzelnen die Teilhabe an der Verfügung über den gesellschaftlichen Prozess erlaubt.“ In der Praxis wird diese widersprüchliche Übung wie folgt gelöst: Weil die Bikekitchen eine juristische Basis braucht, gründet sie einen Verein mit den dazugehörigen Funktionen, versteht sich aber als Kollektiv und trifft ihre Entscheidungen im Plenum. Obwohl keine kommerziellen Interessen verfolgt und vieles geldlos abgewickelt werden kann, fallen dennoch Kosten für Miete, Werkzeug, Flyer, Küchenutensilien etc. an. Sie können über freie Spenden gedeckt und so die Autonomie bewahrt werden. Die Bikekitchen ist ein Refugium, von dem wir lernen können.

Anders Wirtschaften! Stets im Werden ist die Bikekitchen keine Fiktion. Sie liefert uns sofort ein Gegenargument zur allerorts postulierten Alternativenlosigkeit. Immer existieren unterschiedliche Wirtschaftsformen parallel. Nun, da wir diese „reale Utopie“ ausgebreitet haben, drängt sich die Frage auf, wie wir sie ausdehnen und Kompromisse zurückdrängen können. Auf der Suche nach neuen Paradigmen dürfen wir aber nicht dem Irrtum aufsitzen, aus Projekten wie der Bikekitchen ein allgemeingültiges Modell ableiten zu wollen. Fündig werden wir dort, wo Prinzipien für ein anderes Wirtschaften formuliert werden, die unterschiedliche Praktiken zulassen. Je nach Ausgangspunkt setzen sie unterschiedliche Prioritäten und sollen zur Weiterentwicklung anregen.

Der Begriff der „Solidarischen Ökonomie“ bspw. hat sich aus Betriebsübernahmen und selbstverwalteten Betriebe entwickelt. Heute bildet er das Dach für eine breite Palette von Betrieben und Initiativen unterschiedlicher Rechtsformen (Genossenschaft, Verein oder informelles Netzwerk), die drei zentrale Prinzipien teilen: das Identitäts-, das Demokratie- und das Solidaritätsprinzip. Das bedeutet, dass als Voraussetzung für Selbstverwaltung die ArbeiterInnen auch die EigentümerInnen sind und alle gleich viel Mitspracherecht (d.h. eine Stimme pro Kopf) haben. Die Produktion orientiert sich am Bedarf (statt am Wettbewerb) und Solidarität gilt intern wie auch extern, womit bewusst die globale Dimension eingeschlossen wird.

Ausgehend von der Hausarbeitsdebatte entstand ein weiteres Konzept, nämlich die „Versorgende Wirtschaft“. In Abgrenzung zum rationalen Kalkül der Nutzenmaximierung stellt es die Qualität der Sorge für Mensch und Natur ins Zentrum. Hier werden ebenfalls drei Prinzipien als die wichtigsten unterstrichen: Vorsorge statt Nachsorge – womit die Sorge für sich, für andere und für zukünftige Generationen eingeschlossen ist; Kooperation statt Konkurrenz sowie die Orientierung am Lebensnotwendigen statt an Wachstumsraten. Anstatt bspw. die Pflegearbeit zu rationalisieren – sie lässt sich nicht beschleunigen – geht es den Vertreterinnen dieses Konzepts darum, tendenziell „weibliche Arbeitsweisen“ auf die gesamte Wirtschaftsweise auszuweiten.

Auch der Ansatz der Commons (der Begriff kann nur unbefriedigend mit „Gemeingüter“ übersetzt werden) ist in Hinblick auf gelebte Alternativen relevant. Im Mittelpunkt stehen hier soziale Vereinbarungen darüber, wie eine Ressource (z.B. Viehweiden oder Offene Software) genutzt werden soll. Es sind also nicht die Besitzverhältnisse an den Gemeinschaftsgütern gemeint, sondern die gemeinschaftlichen Nutzungsregeln.

Reale Utopien. Für die künftige Entwicklung ist interessant, ob und in welcher Form die erwähnten Konzepte in den gesetzgebenden Rahmen einfließen werden. Besonders Solidarische Ökonomie und Commons sind zu Schlüsselbegriffen in den Sozialen Bewegungen geworden. Seitens der etablierten politischen Parteien interessiert man sich höchstens an den Rändern für solche Alternativen – Vereinnahmungsgefahr besteht dann, wenn gemeinnützige Projekte im Interesse, die herrschende kapitalistische Wirtschaftsordnung zu erhalten, staatlich gefördert werden und sie damit ihre Autonomie verlieren.

Einen Austauschraum zwischen institutionalisierter Politik und Frauenbewegung bieten die Frauenenqueten, die 2011 durch die österreichische Frauenministerin in Kooperation mit der Plattform 20.000 Frauen wieder aufgenommen wurden. Dort wurden Care-Ökonomie, Grundeinkommen und die Vier-in-einem-Perspektive (s. dazu Interview mit Frigga Haug, S. XX) diskutiert. Während ich den beiden ersten Konzepten, so wie sie vorgestellt wurden, kein utopisches Potenzial zutraue, halte ich letztere für einen Rahmen, der uns zumindest den Raum für die Entwicklung von Utopien ausweitet.

Politische Kämpfe. Aus Sicht der Care-Ökonomie wird die Bezahlung von Care-Arbeit priorisiert. Für den Markt, aus dem die Bezahlung direkt oder indirekt in Form von Steuern für öffentliche Dienste finanziert werden muss, werden aber (im Vergleich zur oben skizzierten Versorgenden Wirtschaft) keine anderen Regeln vorgeschlagen. Die Streitfrage, ob Care-Arbeit bezahlt werden soll, spielt zwar nach wie vor eine Rolle, weil soziale Integration über Lohnarbeit und die daran gekoppelte Sozialversicherung funktioniert. Mehr als eine Besserstellung in einem patriarchalen Wirtschaftssystem ist damit aber nicht zu erwarten.

Die Idee eines Grundeinkommens geht von der Entkoppelung von Arbeit und Einkommen aus. Dadurch soll u.a. die Arbeitsqualität verbessert werden, da die ArbeitnehmerInnen nicht mehr erpressbar seien. Woher die ArbeiterInnen auf einem Markt, der nur einen Teil der Erwerbsfähigen braucht,2 tatsächlich ihre Macht hernehmen sollen, und nach welchen Kriterien die Arbeit gestaltet werden soll, bleibt allerdings unbeantwortet. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird auch innerhalb der Sozialen Bewegungen lebendig diskutiert und öfter in Kombination mit Solidarischer Ökonomie verstanden. Bleibt das Grundeinkommen jedoch als singuläre Forderung stehen – und das ist häufig in der politischen Agitation – bleibt es als (nötige) Reform unseres Sozialsystems reaktionär.

Demgegenüber stellt die Vier-in-einem-Perspektive eine Mehrebenen-Strategie dar. Sie umfasst Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit, räumt aber auch kultureller Entwicklung und Politik „von unten“ gleich viel Zeit ein. Dass wir die Zeit explizit vorsehen müssen, weil wir Raum für die notwendigen Umdenkprozesse und die erforderlichen politischen Kämpfe brauchen, wird meist übersehen. Weil die Vier-in-einem-Perspektive durch ihr Zeitregime Erwerbsarbeit in die Schranken weist, Reproduktionsarbeit hervorhebt und den Bereichen Lernen und Politik als explizite Voraussetzung für einen Wandel der kapitalistischen und patriarchalen Produktionsverhältnisse Platz verschafft, ist sie für mich ein attraktiver Rahmen.

Um diesen Rahmen mit konkreten Arbeitsutopien zu füllen, habe ich mit Frigga Haug u.a. KollegInnen weitergearbeitet. Basierend auf einigen Beispielen (wie dem subversiven Dumpstern/Containern) sind wir ebenfalls zu Prinzipien gelangt, von denen ich eines hervorheben möchte: die Rotation zwischen den Tätigkeitsbereichen. Dies ist wichtig, weil es nicht die Arbeit oder das Modell gibt, sondern vielfältige Tätigkeiten, in denen wir uns nach Notwendigkeit erleben können sollen.

Abschließend möchte ich noch einmal die Bikekitchen zitieren: „Die Bikekitchen ist kompetitiv im Sinne eines lustbetonten Gerangels im Sinne des humoristischen Austestens von Grenzen aller Art, der Verfeinerung des Entzückens im Sinne einer Bestätigung des Lebendigen.“ Auf mehr Lust auf Utopisches!


Autorinnenzeile: Sabine Gruber ist Sozialwissenschafterin und Gemeinwesenentwicklerin. www.sabine-gruber.at


Zitat Je mehr Geld und Konsum unmittelbare Erfolgserlebnisse ersetzen, je mehr wir den Einfluss darüber verlieren, was und wie produziert und wofür der Gewinn eingesetzt wird, desto sinnentleerter wird Arbeit.


Fußnoten 1 Von der kapitalistischen Produktionsweise können wir auch indirekt durch Sozialleistungen profitieren, z.B. durch Stipendien oder durch Zuwendungen von Opas Pension etc. 2 Spätestens seit John Maynard Keynes wissen auch die ÖkonomInnen, dass der Markt mit Unterbeschäftigung funktioniert und Vollbeschäftigung stimuliert werden muss.


Marginalie:

Quellen

Markus Auinger (Hg): Solidarische Ökonomie zwischen Markt und Staat. Gesellschaftsveränderung oder Selbsthilfe? Journal für Entwicklungspolitik XXV, 03/2009.

Adelheid Biesecker/Maite Mathes/Susanne Schön/Babette Scurrell (Hrsg.): Versorgendes Wirtschaften. Auf dem Weg zu einer Ökonomie des Guten Lebens. (Wissenschaftliche Reihe, B. 132) Kleine Verlag 2000.

Ulrich Brand/Bettina Lösch/Benjamin Opratko/Stefan Thimmel (Hrsg.): ABC der Alternativen 2.0. Von Alltagskultur bis Zivilgesellschaft. VSA Verlag 2012.

Sabine Gruber/Frigga Haug/Stephan Krull (Hrsg.): Arbeiten wie noch nie!? Unterwegs zur kollektiven Handlungsfähigkeit. Argument Verlag 2010.

Luise Gubitzer/Katharina Mader: Care-Ökonomie. Ihre theoretische Verortung und Weiterentwicklung. In: Kurswechsel 4/2011, S. 7–21.

Frigga Haug: Die Vier-in-einem Perspektive. Eine Politik für Frauen, die eine Politik für alle ist. Argument Verlag 2008.

Silke Helfrich: Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter. Oekom Verlag 2009.

Georg Vobruba: Entkoppelung von Arbeit und Einkommen. Das Grundeinkommen in der Arbeitsgesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007.

http://blog.commons.at www.solidarische-oekonomie.at www.bikekitchen.net